© – Gunda v. Dehn „Komm zu mir“

Kreuzzüge

und

Friesische Freiheit

Die Friesen beteiligten sich (mehr oder weniger aufgrund der zu leistenden Heeresfolge) kurz nacheinander an vier Kreuzzügen: 1217, 1229, 1248 und 1269.

Nach der Überlieferung haben die Friesen an dem Kreuzzug von 1217/18 (24. Aug. 1218 Eroberung des Kettenturms von Damiette in Ägypten durch die Friesen) mit über 100 Schiffen teilgenommen. – Dies war das größte seemännische Unternehmen, das die Welt bis dahin gesehen hatte.

Die Kreuzzugsteilnehmer mussten alles selbst finanzieren: Schiffe, Mannschaft etc., einfache Leute mussten Verpflegung und Waffen mitbringen und genügend Geld dabei haben. Vorgeschrieben waren 50 Mark, so viel kostete damals ein ganzer Hof. Fürsten und einfache Menschen mußten oft Ländereien und Höfe verkaufen oder verpfänden, um teilnehmen zu können. Welcher Idealismus steckte oft dahinter, aber auch die Chance auf Macht und Wohlstand!

Zehn Jahre später (1228/29) nahmen erneut Friesen in großer Zahl an einem Kreuzzug teil. Hier traten sie als Seefahrer besonders hervor. Die Seewege waren ihnen bekannt. Kein Wunder, nicht wenige betrieben das Kaperhandwerk im Mittelmeerraum. Handel und Seeraub gingen Hand in Hand. Im Mittelmeer gab es schon friesische Piraten vor dem 1. Kreuzzug.

Kaiser Friedrich II klein

Kaiser Friedrich II Das „Wunder der Welt“

Diesen Kreuzzug von 1228/29 hatte Kaiser Friedrich II. (*26.12.1194 +13.12.1250) ins Leben gerufen – trotz Bann des Papstes. Der Bann bedeutete de facto die Absetzung des Kaisers. Dennoch, Kaiser Friedrich II. krönte sich selbst zum König von Jerusalem. Auch den treuen Friesen hatte der Kaiser diesen Erfolg zu verdanken, denn viele Vasallen und Orden waren aufgrund des Bannes vom Kaiser abgefallen! – Eine Auszeichnung für ihre Treue war nur natürlich! Kaiser Friedrich II. gedachte, die Beteiligten zum Lohn in den Adelsstand zu erheben. Die Friesen aber wiesen den Kaiser unter dem Hinweis zurück, dass sie auch ohne seine Hilfe adelig seien. – Dies wird den Tatsachen entsprochen haben: Die auszuzeichnenden Friesen werden tatsächlich schon adelig gewesen sein, denn führende Positionen besassen nur Angehörige der Oberschicht. Die Überlieferung berichtet, dass Kaiser Friedrich II. keineswegs erzürnt gewesen sei. Im Gegenteil, er habe nach einer adäquaten Belohnung gesucht und erlaubte den Friesen, den vollständigen Adler im Wappen zu führen. Soweit die Legende. Diese Auszeichnung war, wenn sie denn zutraf, überwältigend, denn der Adler stand lt. Sachsenspiegel nur Königen zu (s. dort). Die Erlaubnis zum Führen des Reichsadlers bedeutete gleichzeitig ein lehnrechtliches Verhältnis, wobei dieses Lehen auf die Erben überging. Der ‘Reichsadler’ bedingte auch gewisse Rechte und Pflichten: z.B. politische Führung, Gerichtsbarkeit, Heeresfolge. – Nicht nur die Circsena von Greetsiel, die Allena von Osterhusen und die tom Brok führten den Adler im Wappen. Jenseits der Ems gab es noch verschiedene andere. Der Grund dafür mag vielleicht in der Führung des richterlichen Amtssiegels gelegen haben und / oder auch in der Vererbung des Wappens auf Kind- und Kindeskinder.

Andererseits führten auch die Grafen von Werl den Adler im Wappen. Auch von dort mag die Blasonierung übergegangen sein auf versch. Erben bzw. Regenten, zumal das Grafenhaus Werl diesseits und jenseits der Ems über große Besitzungen verfügte. Die Grafschaften des Grafen Bernhard von Werl in den Gauen Egern, Westfalen und  Emsgau waren zwar von König Heinrich IV. am 24.10.1062 eingezogen und dem erzbischöflichen Stuhl zu Hamburg übertragen worden, aber das Wappen der Grafen blieb erhalten.


6. Kreuzzug (1248-1254)

Nachdem 1244 Jerusalem an die Türken gefallen ist, bricht 1248 König Ludwig IX der Heilige von Frankreich mit mehr als 10.000 Söldnern und Lehenspflichtigen von Aigues-Mortes zu einem erneuten Kreuzzug auf

  • 1249 wird Damiette eingenommen
  • 1250 gerät das frz. Korps mit König Ludwig und Karl von Anjou nach mehreren Schlachten bei Mansura in Gefangenschaft.
  •          Unsummen an Lösegeld werden gezahlt, Damiette wird geräumt.
  •          König Ludwig von Frankreich baut die Festungen Akkon, Jaffa und Caesarea aus.
  • 1254 zwingt Geldmangel ihn zur Rückkehr nach Frankreich
Eroberung Damiette

Eroberung von Damiette 1219 unter Führung von Ludwig d. Heiligen – Miniatur um 1360 aus einem frz. Handschrift Nationalbibliothek Paris

7. Kreuzzug

König Ludwigs Kreuzzug nach Ägypten war gescheitert und hatte Unsummen an Geld verschlungen. Trotzdem – oder gerade deswegen – war König Ludwig von Frankreich IX. (König 1226-1270) entschlossen, einen weiteren Zug gegen die Heiden zu unternehmen. Nachdem er das heilige Land 1254 verlassen hatte, schickte er regelmäßig Geld und Waffen nach Akkon zum Unterhalt eines dortigen Regiments, welches die Grundlage für einen neuen Kreuzzug bilden sollte. Die Besitzungen der Christen im heiligen Land waren um diese Zeit schon fast alle verloren. Der Mamelukensultan Baibars I. eroberte nacheinander Cäsarea, Arsuf, Safed, Jaffa und vernichtete 1268 Antiochia, nur Akkon konnte sich noch halten.

Ludwig der Heilige

Ludwig der Heilige

Man schrieb das Jahr 1264. Zehn Jahre waren seither vergangen, nachdem König Ludwig IX. das heilige Land verlassen hatte. Jetzt sandte Ludwig IX. die ersten Dominikaner nach Norden/Ostfriesland, um für seinen neuen geplante Kreuzzug zu werben. Im selben Jahr, also 1264, schenkten Hicko Itzinga, Harko Uding, Reiner Egeram dem Dominikaner-Orden den Platz zur Anlage des Klosters in Norden! (mehr dazu siehe Rubrik „Suchpfade“) Zu jener Zeit liefen die Vorbereitungen bereits auf Hochtouren, aber erst 1267 legte Ludwig IX. ein neues Kreuzzugsgelübde ab.

Eine verbindliche Zusage zur Teilnahme am Kreuzzug erhielt Ludwig IX. von seinem Bruder Karl von Anjou und von dem englischen Prinzen Edward Plantagenet. Der Sultan von Tunis, al-Mustansir, war ein Feind Karls von Anjou, König von Sizilien, denn er weigerte sich u.a., Tribute an Karl zu entrichten.

Die Begeisterung der Friesen war 1264 vermutlich nicht sehr groß für einen neuen Kreuzzug, denn 1262 hatte ein Erdbeben das Kloster Wittewirum (jenseits der Ems) zerstört, 1263 folgte ein gewaltige Flut (vermutlich ein Nachbeben); die Deiche wurden zerstört, Menschen und Tiere ertranken in Massen, die Ernte war verdorben, das Land versalzen. Es herrschte große Armut. Die Menschen lebten mehr schlecht als recht. Aber jeder Kreuzfahrer hatte neben der Kriegsausrüstung sechs Eimer Butter, eine Speckseite, eine Rinderseite und 7 Mark Sterling mitzubringen. Das war eine enorme Summe und setzte Wohlstand voraus.

1268 nahm König Ludwig IX. der Heilige von Frankreich  Friesland  unter seinen Schutz. Dies stand im Zusammenhang mit „Werbemaßnahmen“ für seinen neuen Kreuzzug gegen die Sarazenen. Ebenso ist auch die oben genannte Klostergründung 1264 in Norden/Ostfriesland einzuschätzen.

An dem Kreuzzug von Ludwig IX. 1269 war vermutlich auch Keno der Alte (ten Broek) beteiligt  (Web-Rubrik „Die tom Brok“ – siehe dort), mit Gewißheit aber Östringen und Wangerland. Östringer und Wangerländer kämpften 14 Tage lang bei Tunis gegen die Sarazenen. Dies geht aus einem Beschwerdebrief hervor, der sich an König Philipp von Frankreich, Sohn von Ludwig IX., richtet, wegen Beraubung von Kaufleuten durch die Flamen. – Dort steht u. a. zu lesen:  „…die Länder Östringen und Wangerland in Friesland, die keiner weltlichen Herrschaft, auch nicht dem deutschen König untertan sind, sondern nur dem Erzbischof von Bremen gehorchen und sich selbst durch jährlich gewählte Richter regieren, beschweren sich…“  Im weiteren Verlauf des Schreibens bitten sie um Schutz und sicheren Handelsverkehr. (Ostfrs. UB III No.56) Flandern gehörte damals zu Frankreich! Insofern ist das Schreiben korrekt. – König Philipps Vater, Ludwig IX., starb 1270 vor den Mauern von Tunis an einer Seuche. Ludwigs Nachfolger, sein Sohn Philipp, wurde am 15. Aug. 1271 offiziell in Reims zu König von Frankreich gekrönt. 1270 stand Frankreich noch unter der Regentschaft von Philipps Mutter und der seines Onkels Karl von Anjou. Auch die Heimkehr der Kreuzfahrer hat mehr als ein Jahr in Anspruch genommen. – Das Datum des Schreibens ist nicht genau zu bestimmen, müßte aber wegen des Interregnums in etwa zwischen 1271 und 1273 einzugrenzen sein. Danach wurde König Rudolf I. von Habsburg etabliert, der im Hl. Röm. Reich Dt. Nation allgemeine Anerkennung fand, auch bei den Friesen, denn auch die sog. „Privilegien Karls d. Gr.“ erkennen König/Kaiser als Souverän an. Diesem sind sie auch bei Reichsunmittelbarkeit immer untertan! Die Einlassung bzgl. der „nicht vorhandenen Obrigkeit“ in diesem Schreiben war also kein kluger Winkelzug, weil man sich mit unvorsichtigen Aussagen leicht „in die Nesseln setzen kann“. (Der Kaiser befand sich in Acht und Bann, war also abgesetzt vom Papst, einen Grafen gab es nicht wegen der Erbfolgekriege.) Es ist eher so gewesen, dass die Friesen sich aus Verzweiflung an den frz. König gewandt haben, weil sie sich ohne Schutzherrn fürchteten, denn in jener Zeit drohten gefährliche Übernahmekriege, wenn es keinen Schutzherrn gab! Es sollte mit dem Schreiben an den französischen König also nicht die sog. „Friesische Freiheit“ betont werden, sondern es ging einzig und allein darum, eine Schutzmacht zu finden. Der König hat entsprechend reagiert und die Friesen unter seinen Schutz genommen.

    • König Richard von Cornwall starb schon 1272. Er war der Sohn des englischen Königs Johann Ohneland und jüngerer Bruder des engl. Königs Heinrich III., ein Neffe von Richard Löwenherz. Richard war 3 x verheiratet: zuletzt 1269 mit Beatrix von Falkenburg (+1277). Richard von Cornwall war durch die Hochzeit des Stauffers Friedrichs II. mit seiner Schwester Isabella (Juli 1235) der Schwager von Kaiser Friedrich II.
    • König Alfons X. (*1221 +1284) König von Kastilien und León.  Er war der erste Sohn von Ferdinand II. d. Hl. und dessen 1. Gemahlin Beatrix von Schwaben, einer Tochter des römisch-deutschen Königs Philipp von Schwaben. Seine Abkunft von den Hohenstaufen durch seine Mutter, gab ihm das Recht, sich zur Wahl zu stellen. Er strebte die Kaiserkrone an. Ihm fehlten aber die Mittel für den nötigen Romzug. Um sich Geld zu beschaffen, verschlechterte er die Münzen, wodurch Preissteigerungen erfolgten. Durch ein besonderes System der Besteuerung, versuchte er, Geld in die Staatskasse zu leiten. Der Kleinhandel wurde dadurch ruiniert, Bürger und Bauern schwer geschädigt.
  • Der Papst zwang König Alfons zum Rücktritt, nachdem 1273 Rudolf I. von Habsburg zum römisch-deutschen König gewählt worden war.

(Ausführungen z. Interregnum s. unten)


Kreuzzüge waren zweifellos Auslöser für sakrale Bautätigkeit. Unternehmungen dieses Ausmaßes ließen die Begeisterung für Kirche und Glauben meistens sprunghaft ansteigen und förderten die Opferbereitschaft. Wie wir wissen, hing die Errichtung von Sakralbauten beträchtlich von der Bevölkerung ab, die in Form von Stiftungen und freiwilligen Arbeiten nicht unerheblich beteiligt war.

Mit Kaiser Friedrich II. nahm der Orienthandel großen Aufschwung. Friedrich war ein Sarazenenfreund – zum Entsetzen des Papstes. – Die Friesen sind am Orienthandel maßgeblich beteiligt gewesen, waren die Handelswege doch schon von Alters her bekannt. Ferner waren die Friesen hervorragende Schiffsbauer. Der Typ der Kogge ist eine friesische Erfindung.

Die Nordsee heißt bei Bischof Adam von Bremen ‘Friesisches Meer’. Der Handel war vorwiegend in friesischen Händen. In Russland und allen Ostseeländern sind friesische Münzen gefunden worden, von denen nicht wenige in Jever und Emden geprägt wurden.

Auch in England sind die Friesen als Händler nachzuweisen. Sie lieferten Pferde, Schafe, Rind- und Fettvieh, Wolle, Leder und Felle pp. nach Flandern und Frankreich, beschickten die Märkte von Hamburg, Bremen und vielen anderen Nord- und Ostseestädten.


Friesische Freiheit

Es klingt sehr überzeugend, wie die Östringer und Wangerländer behaupten, keiner weltlichen Herrschaft untertan zu sein, auch nicht dem regi Allimannie (deutschen König), sondern nur dem Erzbischof von Bremen in spiritualibus gehorchen und sich selbst regieren. Das sah der dt. König sicher anders. Allerdings kommt es auf das Datum des Schreibens an König Philipp von Frankreich an, denn es gab in diesem Zeitraum das Interregnum, die „kaiserlose Zeit“, in welcher es 2 Könige im Kaiserreich gab, jedoch keiner von beiden die notwendige Anerkennung bei den Fürsten fand. Vermutlich ist der obige Beschwerdebrief während dieser Zeit geschrieben worden (1270-1273) und bezieht sich nicht auf das imaginäre Freiheitsprivileg von Karl d. Gr.!


Interregnum

  • Zur sogenannten Doppelwahl kam es 1257, als Alfons von Kastilien und Richard von Cornwall gleichzeitig von den sieben wahlberechtigten Fürsten zu Königen gewählt wurden. Beide waren verwandtschaftlich mit dem Staufergeschlecht verbunden. Alfons von Kastilien war ein Enkel des Philipp von Schwaben und Richard von Cornwall der Schwager von Kaiser Friedrich II. Bei der Wahl konnten beide Kandidaten je drei Stimmen für sich verbuchen, Ottokar II. von Böhmen jedoch gab beiden Kandidaten seine Stimme, wofür er sich jeweils bezahlen ließ. Dieses Patt sorgte dafür, dass es zu einer Doppelwahl kam.
  • Beide Könige konnten keine allgemeine Anerkennung im Reich erlangen. Richard von Cornwall starb im April 1272, woraufhin Alfons von Kastilien von Papst Gregor X. die Bestätigung seiner Königswahl forderte. Doch der Papst verweigerte ihm die Approbation. Es gab somit  eine Neuwahl.
  • 1273 einigten sich die drei geistlichen Kurfürsten und der Pfalzgraf bei Rhein auf Graf Rudolf IV. von Habsburg als Kandidaten. Dessen Wahl erfolgte am 1. Oktober 1273 in Frankfurt. – Das Interregnum fand damit ein Ende. (Krönung des Königs als Rudolf I. am 24. Oktober 1273 im Aachener Münster).

 Kaiser Karl der Große hat solche Privilegien nicht erteilt, schon gar nicht den aufmüpfigen Friesen.

– Folgendes ist überliefert: 814 gab Ludwig der Fromme den Friesen das ‚ius (das Recht) paternae (väterlich) hereditatis‚ (Erbschaft) zurück, welches sie unter Karl d. Gr. (+814) wegen ihrer „Treulosigkeit“ verloren hatten.  Nur Freie waren erbberechtigt, das heißt aber nicht, dass alle Friesen frei waren! Es gab durchaus unfreie Menschen in Friesland, genauso wie anderswo auch. Diese „Untersassen“ stellten u.a. auch das Kampfpotential der Häuptlinge.

Im Asega-Buch (Rüstringer Gesetzbuch – s. hierzu Wiarda) sind die damaligen Friesischen Grenzen genau angegeben. Aus den öfter vorkommenden Stellen ist erkennbar, daß Friesland in 3 Hauptprovinzen geteilt war. Die 1. erstreckte sich von Sincfall bis zu dem Fly und begriff Holland und Westfriesland, die 2. lag zwischen dem Fly (heutigen Zuidersee) und der Lauer oder dem Laubach; die dritte war zwischen der Lauer und der Weser eingeschlossen, enthielt also die Provinz Groningen, das Fürstentum Ostfriesland und das Herzogtum Oldenburg. Friesland erstreckte sich also von Flandern bis zum Herzogtum Bremen. Dann gab es noch Nordfriesland, was hier aber nicht relevant ist. Friesland besass eigene Gesetze. Grob zusammengefaßt: Nach der 17. Küre konnte sich jeder von dem vorgeworfenen Verbrechen, sofern er nicht bei der Tat ertappt war, durch einen Eid auf die Reliquien der Heiligen reinigen. Das wurde später durch die sog. „Wenden“, also Änderungen eingeschränkt. Man trifft „Wenden“ in allen Sammlungen der Friesischen Gesetze an und findet sie auch im 4. Abschnitt des Asegabuches. Anders als im übrigen Deutschen Reich konnte sich sogar der Todschläger durch Geld, Vieh und Waren freikaufen. Es gab Bußverordnungen der Rüstringer, Emsiger, Brookmer, Hunsingoer, Fivelingoer und der Westerlauerschen Friesen. Jede einzelne Landschaft oder Gau hatte für sich gesetzgebende Macht. Daher wurde bald hier, bald dort, eine Revision der Kriminalgesetze vorgenommen, wodurch jeweils besondere Bußtaxen in den einzelnen Gauen entstanden.

Im Schulzenrecht wird aufgeführt: „Der Graf der in Friesland Graf sein soll, der soll von voller Geburt sein.“ Der Graf hatte sich mit gültiger Vollmacht und mit des Königs Bestätigung mit Brief und Siegel jährlich im Mai einzufinden, um das öffentliche Gericht, das Bothing, abzuhalten. „Da müssen ihn die Friesen empfangen und zu Recht stehen.“ Wiarda schreibt dazu: … und dann weiter von den Verrichtungen und Amtspflichten des Grafen und des unter ihm stehenden Schulzen, sodann von den Verbindlichkeiten und den besonderen Vorrechten der Friesen, die dem Bischof und dem Grafen nicht die Souveränität zustanden, sondern sich noch immer die „freyen“ Friesen nannten. Das ist eine deutliche Einschränkung der Freiheit und bestätigt trotz besonderer Rechte, dass die Friesen nicht total „frei“ waren, wenn auch viel freier als andere Teile des Dt. Reiches.

Am Upstallsboom gab es Versammlungen der frs. Gaue und Landesteile, wo u.a. auch die Gesetze miteinander abgestimmt wurden. Es scheint so zu sein, vergleicht man die überlieferten Zusammenkünfte am Upstalsboom mit den Daten der Kreuzzüge, dass diese Abstimmung u. a. notwendig wurde durch die Kreuzzüge. Es ist unüberschaubar und kaum möglich, bei Straftaten von Menschen unterschiedlicher Herkunft, jeweils die Gesetze des Herkunftslandes anzuwenden. Das beginnt bereits bei der Anreise bzw. in den Sammelstellen der Kriegsteilnehmer. Ob die Friesen tatsächlich ihren eigenen Gesetzen unterworfen waren, ist noch zu eruieren. Zumindest gab es Heeresverbände, wo es keine Vermischung unterschiedlicher Herkunftsländern gab. Im Endeffekt herrschte jedoch das Kriegsgesetz der entspr. Heeresverbände und bei Streitigkeiten entschied die oberste Heeresleitung. Wenn dann gar nichts mehr half, wurde der König eingeschaltet.

Friesland ist Königsgut gewesen, aber es ist auch als Lehen an Grafen oder Herzöge vergeben worden, so sehr die Friesen sich auch dagegen gewehrt haben mögen. Die Grafen hatten es oft schwer, sich durchzusetzen gegen die Verteidigungsbereitschaft und Entschlossenheit der Friesen. Auch wurden Vögte vom König eingesetzt wie z. B. Keno der Alte, um den unmittelbaren Zugriff der Grafen auszuschalten, aber vermittelndes Glied waren im Endeffekt doch wieder die Grafen. Das wird auch deutlich durch das „Schulzenrecht“ in den alten particulären Rechtsbüchern des Westerlauerschen Frieslands. Es enthält das Recht und die Obliegenheiten des Grafen und der Beamten, des Schulzen und des Asega (Richter) und besonders deren Rechtspflege.

Auch in Ostfriesland (zur Zeit der Häuptlinge noch nicht so genannt) gab es Grafen. Meines Erachtens macht man es sich zu einfach, wenn man sagt, die Grafen hätten sich in Ostfriesland nicht durchsetzen können, das Land wäre quasi Diaspora gewesen. Nein, wenn keine Aufstände o. ä. in den Quellen verzeichnet sind, so heißt das noch lange nicht, dass es keinen Grafen gab. Das kann auch bedeuten, dass die Abgaben ordentlich gezahlt wurden und somit keine Veranlassung zum Einschreiten mit Heeresmacht gegeben war. In Ostfriesland und Ems übergreifend herrschten z. B. die Grafen von Werl und deren Erben, die Grafen von Geldern und von Holland, von Oldenburg etc. Es ist anscheinend überwiegend so gewesen, dass die Einwohner diesseits der Ems dem jeweiligen Grafen gegenüber loyal eingestellt waren.

Der angebliche „Freiheitsbrief von Kaiser Karl“, welcher König Ruprecht als Urkunde präsentiert wurde, war eine Fälschung. Das wird der königlichen Kanzlei nicht entgangen sein, weswegen das Ansinnen der Friesen auch abgelehnt wurde, zumal Graf Wilhelm II von Holland pp. sich als unmittelbar Betroffener vehement dagegen verwahrte. Zur Zeit des nachfolgenden Königs Sigismund hatten sich die Prioritäten jedoch geändert. Es lag nun im Interesse von König Sigismund, das Privileg zu bestätigen. Das hatte etliche Gründe, wovon hier nur ein Teil erwähnt werden kann, weil das Thema zu komplex ist:

König Sigismund von Böhmen hatte seinen Bruder, König Wenzel, arretiert, weil dieser dem Anschein nach dem Irrsinn verfallen war. Dieser Staatsstreich war jedoch nicht von purer Selbstlosigkeit geprägt gewesen. Nach seiner beherzten Tat verstand es sich von selbst, dass Sigismund (seinerzeit König von Ungarn) seines Bruders Nachfolge antreten und König des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation werden wollte. Diese Sachlage wußten zweifellos auch die Kurfürsten des Reiches, die jetzt den neuen König wählten. Für König Sigismund von Ungarn war es darum mehr als ein Tiefschlag, als die Mehrheit der Kurfürsten Jobst von Mähren die Krone zuerkannten. Ist es da verwunderlich, dass die königliche Herrschaft des Jobst von Mähren ein so auffallend schnelles und mysteriöses Ende nahm? Zum Nachfolger des verstorbenen Königs des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wurde danach am 21. Juli 1411 König Sigismund von Böhmen gewählt.

König Sigismund wollte Friesland für sich beanspruchen! Die Reichsunmittelbarkeit brachte ihm etliches an Machtzuwachs und Zins ein. Und es konnte der Gefahr der Vereinnahmung durch Frankreich (und später England) besser entgegengetreten werden (Es tobte der 100-jähr. Krieg und Jakobäa von Hennegau, Erbtochter des Grafen Wilhelm II von Holland pp., hatte ins frz. Königshaus eingeheiratet). Jakobäa musste ausgeschaltet werden, also bestätigte König Sigismund im September 1417 zu Konstanz die Privilegien der Friesen, wodurch ihnen die Freiheit und Reichsunmittelbarkeit garantiert wurde und die Gräfin Jakobäa draußen vor stand!

Möglicherweise sind im 10. Jh. tatsächlich Privilegien von Kaiser Karl III (der Dicke bzw. der Einfältige), König der Westfranken (893-923) und Kaiser von 898-929, erteilt worden und zwar anläßlich der Beseitigung des Herrschers Gottfried von Friesland, einem Nachkommen von König Redbad.

Gunda v. Dehn in Zusammenarbeit mit Annette v. Dehn M.A.


AutogrammkarteGunda

Gunda von Dehn

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letzte Änderung 05. 10. 2023