© – Gunda von Dehn „Wer als Ochs geboren ist…“ aus meinem Musical „Die Schuhe der Prinzessin“

Deichbruch Mariensiel-1

Deichbruch Mariensiel / Wilhelmshaven

Woher kamen die Likedeeler?

Man sehe sich die Geschichte der holländischen Grafschaft näher an.

Es gab viele Adelige, die Herzog Albrecht von Bayern, Graf von Holland, Hennegau, Seeland und Herr von Friesland, schwer geschädigt und gestraft hatte. Dies geschah im Kontext mit der Ermordung von Herzog Albrechts Geliebten Aleida Poelgest (+1392) und des Haushofmeisters Willem Cuser. Zum Beispiel hat Herzog Albrecht in diesem Zusammenhang den Hafenort Delft dem Erdboden gleich machen lassen. Viele Adelige und einflussreiche Menschen verloren dadurch nicht nur Haus und Hof, sondern auch ihr Leben. Sie wurden vertrieben, verfolgt, zu Vogelfreien erklärt und ermordet. Im Besonderen traf dies die Partei der Hooks, die sich Willem angeschlossen hatte, dem Sohn von Herzog Albrecht, der seinen Vater vehement bekämpfte und vor der Rache seines Vaters sogar zu Verwandten nach England fliehen musste. Nicht zuletzt ausgelöst durch die Vorgänge um die Ermordung von Aleida Poelgest herrschte Krieg zwischen Cods (=Kabeljauen – der Name kommt von der graublauen Uniform) und Hooks (=Haken), also der bürgerlichen und der adeligen Partei.

Herzog Albrecht ist ein Machtmensch gewesen, der seine Absichten durchdrückte – auch mit Gewalt. Er war einer der mächtigsten Fürsten in Europa. Sein Schwiegersohn war Kaiser Wenzel von Böhmen, sein Vater war Kaiser Ludwig der Bayer gewesen.

Albrechts Ziel war es, die Friesen endlich zu unterwerfen. Die Niederwerfung der Stadt Delft und die Verfolgung der Hooks brachten ihn diesem Ziel ein gutes Stück näher. In Albrechts Grafschaft Holland, Hennegau und Seeland herrschte viele Jahre lang Bürgerkrieg, indem sich die Parteien der Hooks und der Cods bekämpften und gegenseitig aufrieben.

Die Stadt Groningen unterstützte die friesischen Freiheitsbestrebungen. Auch dadurch war die Hansestadt Groningen besonders ins Visier des Herzogs geraten. In der Groninger Chronik wird Arnold Blote als Bürgermeister von Groningen genannt, und es ist bekannt, dass ein  Blote im Zusammenhang mit dem Tod von Aleida Poelgeest, der Geliebten von Herzog Albrecht von Bayern Graf von Holland, hingerichtet worden ist. Das heizte die Aversionen an. Unerlässlich wurde es also für Albrecht, Groningen zu unterwerfen. In Groningen und dem Groninger Umland wiederum herrschte Krieg zwischen den Zisterziensern (Schieringer) und Prämonstratensern (Vetkoper). Letztere wollten den Grafen anerkennen, während die Schieringer für die Freiheit Groningens eintraten. Zu ihnen gehörte der mächtige Häuptling Folkmar Allena, der riesige Alloden jenseits der Ems besaß und als Heerführer für die Stadt Groningen tätig war. Aber Folkmar Allena war nicht der einzige, der sich und sein Eigentum durch den Grafen bedroht sah und für die Freiheit der Stadt Groningen kämpfte.

Aus diesen politischen Gegebenheiten wird ersichtlich, dass es viele Menschen gab, die Grund hatten, die friesischen Freiheitsbestrebungen zu unterstützen. Die Verteidigung gegen die Eroberungsmaßnahmen des Grafen verschlang Unsummen, die ja irgendwo herkommen mussten. Eine kleine Hansestadt wie Groningen konnte das nicht ohne Zusatzeinnahmen aufbringen. Auch die Vitalienbrüder der Ostsee entstanden, um bestimmte politische Ziele zu erreichen und zu finanzieren. Die Politik des Grafen bildete somit den Nährboden für Rebellen und eben auch für Piraterie! Da muß man nicht lange nach Beispielen suchen, es gibt etliche Parallelen zur heutigen Weltmachtpolitik. Die Nordsee aber ist das schwierigste Meer mit den Gezeiten, Balgen, Strömungen, Prielen (= natürlicher, oftmals mäandrierender Wasserlauf im Watt), Untiefen, Inseln und sich ständig verschiebenden Sandbänken. Wer hier bestehen kann, kommt auf allen Weltmeeren zurecht, heißt es auf der Seefahrtsschule. Dass also die Vitalienbrüder aus der Ostsee nach ihrer Vertreibung problemlos und unbekümmert in der Nordsee weiter geraubt haben, ist wohl ein Irrtum. Um in der Nordsee navigieren zu können – und das auch mit Schiffen, mit denen man nicht einmal ein Wendemanöver machen kann, musste man ungleich viel mehr können, als in der Ostsee nötig gewesen ist. Hier waren Leute gefragt, die sich auskannten!

Die Likedeeler stammten also u. a. mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem benachbarten Groningen und es gab nachweislich enge verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Friesen diesseits der Ems und der Stadt Groningen sowie dem Groningerland. Wir finden dort die Namen von Bürgermeistern wie Gödecke Wessels, Everhardo Wickboldi, Winando Papinghe (= Papinga – der Schwager von Edo Wiemken war ein Papinga), Lubbert Sicking, Wicbold Maurissinghe, Sibrandi (Sibrand von Loquard war ein wichtiger Häuptling, der Likedeeler aufgenommen hatte) pp. Ob diese Verwandten gern gesehen und geliebt wurden, steht auf einem anderen Blatt. Man denke nur an die Dt. Wiedervereinigung, auch diese „plötzlich so nahe Verwandtschaft“ aus der „DDR“ war nicht unbedingt ge- und beliebt, zumal sie auch zu Lasten der Menschen diesseits der Grenze gingen. Viel anders wird es mit den Flüchtlingen („Bollinge“ genannt) aus Groningen und Umgebung nicht gewesen. Für die Menschen diesseits der Ems war der Unterhalt für die Flüchtlinge nicht ohne weiteres zusätzlich finanzierbar, denn das Pro-Kopf-Einkommen der „normalen“ Bevölkerung reichte nach den üblichen Abgaben für Zins und Bedesteuer gerade zum Überleben. Die Flüchtlinge mussten sich darum ihren Lebensunterhalt selbst verdienen und sei es durch Seeraub.

Wie man sieht, haben einige Namen der Likedeeler offenbar ihren Ursprung in Groningen bzw. Umgebung. Das stimmt damit überein, dass der Bericht der beiden hansischen Schiffshauptleute Hennig von Rinteln und Albert Schreye aussagt, dass 25 Seeräuber, ausschließlich friesischer Herkunft, am 21. Juni 1400 begnadigt worden seien. Diese mussten bei allen Heiligen schwören, den Kaufmann weder zu Wasser noch zu Lande jemals wieder zu schädigen. Außerdem sollten sie bei der Verfolgung der Vitalienbrüder behilflich sein! – „Pure Erpressung“ würde man vermutlich heute dazu sagen – und es trotzdem tun… Auch da gibt es genügend Parallelen zur heutigen Politik.


Ich habe die überlieferten Hanse-Rezesse sorgfältig studiert. Einen Hinweis auf das Seerecht oder die Schlacht auf der Osterems mit dem nachfolgenden Prozess habe ich nicht gefunden, aber – und das ist in meinen Augen sehr wichtig – es sind jene Privilegien aufgeführt, die der Herzog von Burgund den Hansen verbrieft hat. Daraus geht hervor (Seite 460), dass Mord oder Raub durch des Herzogs Beamte am Leben der Verbrecher gesühnt werden soll. Lt. der 11. Zeile von unten sollen Verbrechen, die außerhalb seines Landes passieren, nicht von seinen Beamten verfolgt werden (der Baliun ist so was wie der Hochmeister einer Ballei vom Deutschritterorden. Das Wort bezeichnet auch einen Vogt.), wenn die Kaufleute nach Flandern einreisen, es sei denn, die Kaufleute erheben Klage. Die Gerichtsbarkeit liegt aber beim Herzog bzw. seinen Beamten!

Darauf fußend, kann davon ausgegangen werden, dass die hansischen Kaufleute aufgrund von Privilegien, erteilt vom Bischof von Münster Otto IV. von Hoya (Emden war Stapelplatz der Hanse), berechtigt wurden, in Emden das Blutgericht abzuhalten und ihre Todesurteile zu fällen. Das war für den Bischof viel besser, als sich selber die Hände schmutzig zu machen.

Auch der Herzog von Bayern, Graf von Holland, hatte schon (im Mai?) 1389 der Hanse Privilegien erteilt. Es heißt in den Rezessen: „Auch kam Herr Gottfried, der Herr clerk (Bote, Gesandte) von Lübeck und brachte eine Abschrift von dem Privileg, das der Herzog von Holland dem Kaufmann besiegelt hat…“

Herzog Albrecht, Graf von Holland, nahm Johann Störtebeker in seine Dienste und stellte ihm am 15. August 1400 einen Kaperbrief aus.

Der Herzog kündigte Keno II. den Lehnvertrag auf. Keno wurde dann bekanntlich Lehnsmann des Herzogs von Geldern (ganz raffiniert, weil Verwandtschaft vom Grafen von Holland), das bedeutet, dass der Herzog von Geldern mit Kenos Herrschaftsgebiet von Herzog Albrecht von Bayern Graf von Holland belehnt wurde und als Afterlehen an Keno II weitergegeben hat.

Denkbar ist, dass der Herzog, Graf von Holland, sich durch die Vorgehensweise der Hanse, in Emden das Blutgericht abzuhalten, übergangen und düpiert gefühlt hat, denn Emden gehörte dem Grafen zwar nicht, sondern dem Bischof von Münster, aber die Hansen haben in Albrechts Herrschaftsgebiet (das ist der Herrschaftsbereich von Keno II.) nicht nur die Piraten aufgegriffen, sondern überdies hinaus geplündert und gebrandschatzt. Auch erdreisteten sich die Hansen, des Grafen Untertanen abzuurteilen. Das ließ sich im Mittelalter kein Herrscher gefallen und der mächtige Herzog von Bayern gleich gar nicht. Insofern würde ich durchaus Rache als Motiv dafür zugrunde legen, dass Herzog Albrecht in der Folge Kaperbriefe ausstellte. Das heizte die Eskalation zwar an, aber die Vorgehensweise der „kleinen Nadelstiche“ wird seit Jahrhunderten so durchgeführt. Man weicht einer echten Auseinandersetzung durch Krieg aus und kann dennoch Vergeltung üben und mehr noch.

Die Handelsgesellschaft der HANSA war in jener Zeit schon zu mächtig geworden, als dass man sie mit kriegerischen Maßnahmen hätte abstrafen können. Die Abhängigkeit von deren kaufmännischer Tätigkeit war derart angeschwollen, dass sich kein Fürst eine echte Konfrontation leisten konnte, ganz abgesehen von der Tatsache, dass Fürsten, Könige und Kaiser außerdem pekuniär in Abhängigkeit bestimmter hanseatischer Kaufleute geraten waren.

Leider scheinen die Politiker von heute wenig Lehren daraus gezogen zu haben, wie die geplanten Handelsabkommen TTIP pp. unschwer erkennen lassen. Aber vielleicht täuscht das und man zieht aus den Fehlern der Historie doch bestimmte Lehren, denn man ist ja heutzutage hochgebildet, während die Leute damals „nicht einmal lesen und schreiben“ konnten (das wird immer behauptet, trifft aber nicht unbedingt zu). – Wie Figura zeigt, funktionierte das rücksichtslose Gebahren der Großen und Mächtigen zum eigenen Nutzen meistens vortrefflich. Angesichts dessen läßt sich unschwer daran ablesen, dass diese „Gebrauchsanweisung“ auch weiterhin prächtig funktionieren wird. –  Wie drückt der Politiker es so schön aus? „Jedes Land versucht, für sich den größten Nutzen zu erzielen. Das ist doch ganz natürlich!“ – Eben dieser Egoismus ist es, der unsere Welt so krank macht!  Alles richtig machen, das kann niemand, aber mehr Fingerspitzengefühl und Rücksichtnahme wäre m. E. wünschenswert!


AutogrammkarteGunda

Gunda von Dehn

Hinweis: Roman Chroniken der tom Brook

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letzte Änderung 05.10.2023